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März 2024: Sabbattage in Niederweisel. Pfarrerinnen und Pfarrer halten inne. Nehmen die biblische Botschaft in ihre Mitte, ohne den Druck daraus Predigten zu produzieren zu müssen.

Denn wir wollen euch nicht verschwiegen die Bedrängnis, die uns widerfahren ist…(2. Kor. 1,8). Dieser Vers aus dem Brief von Paulus an die Korinther ist es, der sich festhängt in mir. Paulus redet offen, über das, was ihm schwerfällt, wo es eng wird. Er wiegelt nicht ab, er relativiert nicht, kein „früher war es anders“ oder ein drohendes „das schlimme Ende kommt noch, ihr werdet es ja sehen“. Es ist eng. Ja. Schweigen ist keine Lösung. Benennen was ist als christliche Lebensstrategie.

Der junge Kollege erzählt von der Post, die aus Darmstadt zum Probedienstbeginn kommt. Herzlichen Glückwunsch zur Ordination ihr Eintritt in den Ruhestand ist in genau 37 Jahren. Die Lacher hat er auf seiner Seite. Doch die Ratlosigkeit steht ihm ins Gesicht geschrieben. Was, so fragt er, werde ich erzählen im Rückblick auf 37 Jahre? Die Kolleg:innen, die jetzt in den Ruhestand gehen, erzählen von Gemeindehäusern und Kindergärten, die in ihrer Ära entstanden sind. Ein goldenes Zeitalter, gedeckte Dächer, große Renovierungen.

Was wird er erzählen in 37 Jahren? Wie viele Fusionen er begleitet, wie viele Schlüssel er von Kirchentüren abgezogen, wie viele Gebäude er verkauft hat?

Zukunft- das war im letzten Jahrhundert noch an Fortschritt gekoppelt- erstrebenswert und positiv. Aleida Assmann, die Kulturwissenschaftlerin, schreibt: Dieser auratische Schlüsselbegriff Zukunft, als Raum der Hoffnung und Gestaltung, ist zerbrochen. Heute ist Zukunft ein Krisenbegriff- kein solistisches Ereignis, sondern Prozess. Nicht nur in der Kirche. Wir befinden uns in guter Gesellschaft, sind auch hier Kinder unserer Zeit.

März 2024: Eine Gemeinde in der Wetterau. Der Kirchenvorstand tagt in einer kleinen Kirche, Heuchelheim, neben Feuerwehrhaus und amtlichen Bekanntmachungen im Schaukasten. Ich trete ein: Wow! Die Empore zieren feine Zeichnungen von Pflanzen und biblischen Personen. Die Kirchenvorsteherin sagt: „Frau Pröpstin, Herr Pfarrer, nichts für ungut, aber wenn hinter dem Altar das Licht durch das Fenster fällt und sich hier im gläsernen Altar bricht. Da kann da vorne gesprochen werden, was es will. Dieses Licht- das ist mein Gottesdienst. Mein Mann sagt: Da steckst Du soviel Zeit und Arbeit rein. Aber schauen sie doch mal….“, sagt sie. In ihrer Stimme liegt eine Liebe, ja, eine Hingabe, an diesen Raum und das, was manchmal in ihm geschieht. Einfach beim Sitzen.

Mitten in der Zeit zwischen der 600 Jahre alten Kirche und den noch kommenden 37 Jahren des Kollegen liegt unsere Zeit. Die christliche Gemeinde hat nicht mit mir begonnen und sie wird wohl auch nicht mit mir enden.

Zwischen den 2000 Jahren von Paulus bis zu uns- geschieht Gemeinde. Manchmal bedrängt, infrage gestellt, verfolgt, gleichgültig beiseitegeschoben, manchmal andere demütigend, voller Machtdemonstration und klebriger Geschwisterlichkeit- und auch: voller Hoffnung, weil neue Anfänge möglich sind, auch Berufsbiographien, Lust am Anpacken und Mithelfen die Schönheit wieder zum Glänzen zu bringen.

Wir wollen die Bedrängnis nicht verschweigen- dann fährt Paulus fort: Das aber geschah, damit wir nicht unser Vertrauen auf uns selbst setzten. Da spricht kein Gott mit warnender Studienratstimme, „überschätzt dich bloß nicht, du wirst schon sehen, wo du hinkommst..“ Sondern eine Stimme Gottes, der seine Gemeinde und die, die darin das Sagen haben, schützen will: Vor Hybris und Besserwissen. Denn in Bedrängnis hilfts nichts, wenn einer meint, allein die Rezepte dagegen zu haben.

Zukunftsstress nennt es Fulbert Steffensky. Die alte Annahme, nur wir könnten die Welt und den Glauben retten.

Über die eigene Lebensspanne hinaus zu blicken, nach hinten auf 600 Jahre oder weiter und nach vorne auf die nächsten 37 Jahre das hilft vielleicht manchmal schon, um sich vom Zukunftsstress nicht in Bedrängnis bringen zu lassen. Weite gewinnen, größere Perspektiven, nicht nur für uns, auch für Paulus eine entscheidende Frage.

Wenige Verse weiter schreibt er: Nicht, dass wir Herren wären über euren Glauben. Sondern wir sind Wir sind Mitarbeiter eurer Freude (2. Kor 1,24). Nicht Herren und Bestimmer, sondern sunergoi: sun = mit und ergos =Werk: Mitarbeiter, Mitwerker. Paulus setzt sprichwörtlich auf Synergieeffekte, im Dienst der Freude. Gottes Mitarbeiter sind Mitwerkende, Mitwirkende an der Freude der Gemeinde. Wer links und rechts von sich Mitarbeitende erkennt und auf Zusammenwirken setzt, wer sich einreiht in die Mitwerkenden, kann sein Vertrauen nicht nur auf sich selbst setzen.

Der alte, manchmal grobe Kerl Paulus lebt und verkündigt Kirche im Plural, im Mitarbeiten aller, vorher, jetzt und nachher. Im Mitarbeiten aller zusammen zum Dienst der Freude. Ob Paulus wohl Zukunftsstress hatte? Fast kann ich es mir nicht vorstellen. Denn Paulus verteilt keine Rezepte, sondern ein Bild: Kirche im tätigen Plural. Als Dienst an Gott und Dienst an der Freude anderer.

Nach 24 Stunden innehalten, beten und meditieren, nach 24 Stunden Kirche im praktizierten Plural, sagt ein Kollege: Wenn das hier Kirche ist, dann bekomme ich wieder Hoffnung.

Ich wage es kaum zu sagen. Aber auch für heute, für die Sitzung, möge gelten: Auch wir sind Mitarbeitende im Dienst der Freude.

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PS: Diese Andacht stand zu Beginn einer Sitzung, die ob ihrer Länge und Themen eine Portion Freude gut vertragen kann. Ob dieses Schriftstück ausreichend war, mögen andere entscheiden.  

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