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Ich liebe es, wenn mein Sohn mir Bilder von seinen Fußballspielen schickt. Die Jungs sind mit soviel Hingabe und Lust dabei, die Blicke konzentriert, die Muskeln angespannt, ihre körperliche und geistige Präsenz ist selbst auf einem Foto zu spüren. (Ich gebe gerne zu, dass ich nichts dagegen hätte, wenn sich diese Präsenz auch auf andere Lebensbereiche ausdehnen würde, Schule und sowas…, aber das ist hier nicht das Thema). Ich bin fast ein wenig neidisch: Wann gebe ich mich einer Sache so vertieft hin? Wann kann ich alles um mich herum vergessen und konzentriere mich nur auf eins? 

Der ZEIT Redakteur Kilian Trotier hat unter dem Titel: „Der Sinn meines Lebens? Hingabe!“ eine Kolumne in ZEIT online dazu geschrieben (leider hinter Bezahlschranke, deshalb hier eine kurze Zusammenfassung): Hingabe ist für ihn die Lebenshaltung, in der sich der Sinn seines Lebens verdichtet. Sie ist eine Form der Offenheit, eine Haltung, die sich nicht scheut, auch die eigene Verletzlichkeit zu zeigen, er nennt es „offenporig sein“.
Er schreibt, dass diese Haltung seine Beziehung zu Familie, Freundinnen und Freunden prägt, damit geht er aber auch auf Kolleg*innen zu, genau so wie auf Fremde, denen er begegnet. Seine Oma hat diese Haltung naiv genannt. Sie hatte vielleicht Sorge, dass andere diese Offenporigkeit ausnutzen oder ihm dadurch Schmerzen zufügen. Vielleicht hat sie einfach Angst gehabt, dass ihn andere deshalb nicht ernst nehmen, so nach dem Motto „der lässt sich doch für dumm verkaufen…!“

Mich hat dieser Artikel ins Nachdenken gebracht. Denn er stimmt der Hingabe gegenüber einen anderen Ton an. Hingabe habe ich eher mit der Bewertung „suspekt“ kennengelernt, ein Mangel an Zurückhaltung, die Ablehnung einer egoistischen Haltung „Erst ich und meine Bedürfnisse, dann alles andere“. In der kirchlichen Tradition ist damit auch die übermäßige Ausschweifung, vor allem in der Sexualität. aber auch im Essen, im Konsum und der Lebensführung verbunden. Eine der sieben Todsünden ist die „Wollust“, die aus dem lateinischen Wort Luxus entstanden ist. Und die heilige Wollust der Hingabe ist zumindest im Mittelalter auf kritikwürdige Ausschweifungen beschränkt…

Was ist Hingabe also eigentlich? Oder: Was will und kann ich darunter verstehen? 

In dem Wort Hingabe steckt das Wort „geben“, ein sich ganz und gar einer Sache widmen und damit gerade das Gegenteil von egoistischer Selbstsucht, nämlich ein sich selbst vergessen. Für mich heißt es auch: Wenn ich mich einer Sache widme, dann frage ich nicht zuerst und alleine danach, ob sie sich rechnet. Ob sich etwas in bare Münze auszahlt, ob ich einen Gegenwert dafür erhalte. Das wäre so, wie wenn die Jungs nur Fußball spielen würden, um Tore zu schießen und um in der Wertung nach oben zu klettern.
Hingabe hat für mich die Bedeutung: Ich tue etwas um seiner selbst willen. Ohne Berechnung. Hingabe zielt nicht auf die ausgeglichene Balance von Geben und Nehmen, sondern auf den Moment, in dem was stimmig ist. In diesem Sinn kann die Hingabe sogar der Gegenentwurf  einer kapitalistischen Grundordnung sein. Sie fragt nicht nach dem Gegenwert und ob sich alles rechnet. Sie ist kein „Deal“, sondern riskiert, mehr zu geben als zu bekommen. 
Als am letzten Wochenende die Sonne geschienen hat, da hatte ich so einen Moment. Ich bin zum Gartencenter gefahren und habe Veilchen, Schafgarbe und Salbei gekauft. Nach Stunden buddeln, Beete säubern und gießen habe ich gemerkt, wieviel Zeit ich im Garten verbracht hatte. Meine sorgfältige Zeitplanung war dahin…Vergessen! Vor lauter Hingabe an den Frühling und die Lust am draußen sein. Kurz habe ich mich ertappt, mich über mich selbst zu ärgern, hätte ich die Uhr nicht besser im Blick haben sollen?  Ach. Nein. Die Zeit zu vergessen ist ein seltener Luxus. Dem würde ich mich gerne öfters mal hingeben….

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