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Liebe Festgemeinde,

sie begehen heute ein Doppeljubiläum: Das St. Josefskrankenhaus blickt auf eine 125-jährige Geschichte zurück, das Balserische Krankenhaus auf eine 150-jährige Geschichte. Gute Gründe also, diese lange Geschichte und die zukunftsweisenden Veränderungen heute mit einem Festakt zu würdigen.

Seit ihrer Gründung versteht sich ihr Krankenhaus als ein christliches Krankenhaus. Diese Ausrichtung verdankt das Krankenhaus seinen zwei Gründerinnen: Den Schwestern vom Göttlichen Erlöser, die 1899 das Krankenhaus St- Josef gründeten – und die andere Gründerin, Emilie Gräfin zu Görlitz, die 25 Jahre zuvor die Balserische Stifutng gegründet hatte. Weil sie Not sahen, weil sie sich in ihrem Glauben in die Nächstenliebe berufen fühlten, sagten sie „Ja“ zu ihrer Berufung. Diese beiden Frauen einte etwas, was dem Krankenhaus bis heute seine Prägung gibt: Es ist der christliche Glaube und das daraus entwickelte Menschenbild.

Nun könnte man ja sagen: Krankenhaus ist Krankenhaus. Hauptsache, der Mensch wird wieder gesund, kommt auf die Beine, kann selbstbestimmt seinen Alltag leben. Reicht das nicht als Auftrag für ein Krankenhaus?

Man könnte auch sagen: Hauptsache, die Pflegekräfte, die Ärztinnen und Ärzte, die Hauswirtschaft, die Seelsorgenden sind sehr gut ausgebildet, auf dem neusten Stand der Forschung, der Medizin, der Ernährungslehre, der Medizintechnik, mit einer Ausstattung, die eine breite und zielgerichtete Behandlung möglich macht. Reicht das nicht als Auftrag an die Mitarbeiter*innen in einem Krankenhaus?

Man könnte auch sagen: Hauptsache, die Finanzen stimmen, die Behandlungen rechnen sich, die betriebswirtschaftliche Seite stimmt- das Krankenhaus schreibt keine roten Zahlen. Reicht das nicht, als Auftrag für ein verantwortlich wirtschaftlich rechnendes Krankenhaus?

Es stimmt alles, aber es ist nicht alles.

Ein Blick in ihr Leitbild zeigt: Ihre Arbeit und ihr Selbstverständnis beruhen auf dem christlichen Menschenbild.

Doch, was heißt das genau?

Manchmal tut es bei so einem Jubiläum gut, sich dieses Selbstverständnisses noch einmal zu vergewissern, noch einmal ins Gedächtnis zu rufen, was es bedeutet, auf der Grundlage des christlichen Menschenbild Menschen zu versorgen und zu behandeln.

Und wie oft: Ein Blick in die Bibel hilft weiter.

Dieses Menschenbild begegnet uns quasi auf den allerersten Seiten der Bibel. Im Buch Genesis: Wo es heißt: Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn. Und schuf sie als Mann und Frau (Genesis 5,1).

In diesen wenigen Worten wird ja bereits ganz viel erzählt.

Zum ersten:

Der Mensch ist Gott ebenbildlich. Das ist die Kernaussage dieser wenigen Worte. Und wie genau das zu verstehen ist, darüber haben sich in der Theologiegeschichte viele kluge Geister gestritten. Wie ähnlich kann der Mensch Gott sein, wenn doch ein Unterschied sein muss oder sein soll zwischen Gott und Mensch? Wie ist das mit der Sünde? Mit dem freien Willen? Das sind große Fragen.

Man kommt dem Verständnis näher, wenn sich auf die Suche begibt, wogegen sich dieser Text abgrenzt. Im altorientalischen Kulturraum, in dem dieses Bild entstanden ist, war es ausschließlich der König, der gottebenbildlich genannt wurde. Wenn also die hebräische Bibel, unser altes Testament, nun sagt, es ist der Mensch, der gottebenblich ist, dann ist die Gottebenbildlichkeit kein Attribut der Herrschaft. Sie steht nicht nur exklusiv einem König zu, der Macht und Herrschaft hat, der in der Hierarchie weit oben steht, sondern jedem!

Es ist der Gedanke, dass Menschen gleich sind, der sich im Übrigen in ihrem Leitbild wiederfindet, wo es heißt: Jeder Mensch ist gleichberechtigtes Mitglied der Gesellschaft, unabhängig von Glauben, Weltanschauung, Herkunft, Alter, soziale und wirtschaftlicher Stellung. Das heißt mit anderen Worten: jeder Mensch ist unabhängig vom gesellschaftlichen Status gleichberechtigt und wird auch so behandelt. Es ist der Kerngedanke der Menschenwürde, der hier angelegt ist und er dann Eingang gefunden hat in ihr Leitbild, ihr Selbstverständnis.

Dieser Gedanke kann auch nochmal ein anders Bild darauf werfen: Wie verstehen sie in der Arbeit professionelle Unterschiede? Wie gehen wir mit Hierarchie um? Sie nennen dies in ihrem Leitbild: Dienstgemeinschaft. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tragen Verantwortung, die Führungskräfte in besondere Weise. Die Zusammenarbeit ist die Voraussetzung für unseren Erfolg.

Ein zweiter Punkt: Der Mensch ist grundlegend bezogen auf andere. Der Mensch ist kein Wesen, das sich selbst genügt, der Mensch braucht andere Menschen um sich herum, die Bibel versteht den Menschen in vielfachen Dimensionen: Er ist bezogen auf Gott, bezogen auf die Mitmenschen und bezogen auf die Umwelt, welche die Bibel Schöpfung nennt. Martin Buber beschreibt das so: Der Mensch wird erst am Du zum Ich. Der Mensch ist also immer schon, von Beginn an, in Beziehungen eingebunden.

Dieses Verständnis des Menschen als eines Wesens, das auf andere bezogen ist, spielt ja auch in der Medizin eine wichtige Rolle. Es ist der ganzheitliche Blick auf Gesundheit und Krankheit: Die Frage, auf welche Ressourcen kann ein Mensch zurückgreifen: Vielleicht den Glauben? Vielleicht das Eingebundensein in eine Familie? Vielleicht die Aufgabe, die jemand sich selbst gestellt hat? Es ist der Blick auf psychosoziale Perspektiven: Aus welchem Umfeld kommt jemand? In welches soziale Umfeld entlassen wir jemanden aus dem Krankenhaus

Der dritte Aspekt ist: Die Gottebenbildlichkeit des Menschen wird als Unterschiedenheit der Menschen verstanden. Sie wird in der Schöpfungsgeschichte mit männlich und weiblich markiert. Dieser Text ist kein Text über die Ehe, auch wenn er in vielen Hochzeitsgottesdiensten zu hören ist. Er ist in einem viel grundlegenderen Sinn auf die Bezogenheit des Menschen auf andere zu verstehen. In aller Vielfältigkeit!

Ein anderer ist anders als man selbst. Wer in einem Krankenhaus arbeitet, wer als Patient in einem Krankenhaus versorgt wird, der kann ein Lied von der Verschiedenheit der Menschen singen. Und der weiß in der Regel auch, wie schwierig es sein kann, mit Verschiedenheit umzugehen. Dies gilt für den Kollegenkreis genauso wie für Patienten, es gilt im Miteinander unterschiedlicher Berufsgruppen, wie es auch im Umgang mit Hierarchien gilt.

Ein vierter Aspekt ist:

Das christliche Menschenbild ist tief in das jüdische Verständnis von Gott und Mensch eingewoben. Die Genesis ist zuallererst ein Buch der jüdischen Bibel und das heißt, das christliche Menschenbild kommt von dorther, ist aus diesem religiösen Kontext zu verstehen. Es gab historisch Zeiten, da wollte man das Alte Testament nicht als Grundlage für das neue Testament gelten lassen, weil es jüdisch war. Weil man die Unterschiedlichkeit von Menschen benutzt hat, um zwischen werten und unwerten Leben zu unterscheiden. Es lohnt auch heute, darauf zu bestehen, dass das christliche Menschenbild au der jüdischen Religion kommt und damit bereits in seiner Grundlage eine Wertschätzung für religiöse Pluralität beinhaltet.

Das biblische Menschenbild versteht den Menschen also als Einheit von Körper, Seele und Geist, als Wesen, das notwendig auf andere bezogen ist und im Kern ein Beziehungswesen ist. Als Wesen, das sich von anderen unterscheidet und damit seine Individualität und Einzigartigkeit unterstreicht. Ein Jubiläum wie heute kann ja zu Recht sehr stolz machen auf das, was hier im Haus seit vielen Jahrhunderten tagtäglich geleistet wird. Ein Jubiläum kann einen auch noch einmal vor Augen führen, auf welcher Basis diese Arbeit hier geschieht. Christus ist der Eckstein, den die Bauleute verworfen haben, so steht es an einer Mauerecke drüben an ihrem Haus. Es ist eine reiche Grundlage, um im Dienst an und für Menschen zu arbeiten.

Zum Schluss möchte ich nochmal auf die beiden Frauen zurückkommen, die vor 125 Jahren und vor 150 Jahren den Mut gefasst haben, hier in Gießen Krankenhäuser zu bauen. Gott gibt ja den Menschen in der Schöpfungsgeschichte einen Auftrag: Seid fruchtbar und mehret euch und bebaut die Erde und macht sie euch untertan (Genesis 1, 22), so übersetzt es Luther. Heute übersetzen viele Übersetzer: bebaut die Erde und handelt ihr gegenüber verantwortlich. Nichts anderes haben diese beiden Gründerinnen gemacht: Sie haben gebaut und Verantwortung übernommen. Sie haben mit anderen Worten dem Willen Gottes Gestalt gegeben: Nämlich dass wir Menschen sind, die in die Verantwortung für andere gerufen sind. Ein Auftrag, der fortbesteht.

Gott gebe ihnen Kraft, diesen Auftrag zu übernehmen, an dem Ort, an dem sie im Krankenhaus tätig sind, ihn auszufüllen, dass die Gottebenbildlichkeit spürbar wird. Im Vertrauen auf Gottes Hilfe für diesen Dienst, das sie leitet und orientiert. Dies ist ein immerwährender Prozess, ein Ausloten durch die Zeit. Der Satz aus dem Evangelium bleibt Zuspruch und Anspruch: Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken. Geht aber hin und lernt, was das heißt. (Matthäus 9, 9-13).

Predigt zum Jubiläum St. Josefskrankenhaus/Balserische Stiftung, Gießen        20. April 2024

 

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