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Wenn heute eine Muslima Im Hidjab den Besucher:innen einen hinduistischen Tempel im Hof öffnet, zeigt sie damit einen wichtigen Ort einer Religion, der sie selbst nicht angehört. Dies ist durchaus ungewöhnlich, denn die Deutungskraft und Macht über eine Religion wird denen am ehesten zugesprochen, die ihr angehören. Die Größe dieser Geste ist allerdings kaum zu ermessen, wenn dazu gesagt wird, wo es geschieht: In Hyderabad. Die Stadt liegt in Staat Telanagana und war in den 90ziger Jahren nicht zu erstem Mal, aber damals besonders heftig, von blutigen Auseinandersetzungen zwischen Hindus und Moslems geprägt. Hintergrund war der Konflikt um die Babri Masjid Moschee in Ayodhya, die von Muslimen auf den Boden eines Tempels Hindu Tempels erbaut haben sollen. 1990 versuchten Hindus die Moschee abzureißen, die Spannungen nahmen zu und es folgten tödliche Auseinandersetzungen zwischen beiden Gruppen.

Wenn also heute eine Muslima im Hidjab den Besucher:innen einen hinduistischen Tempel öffnet, dann muss etwas geschehen sein in den letzten 30 Jahren. Das, was geschehen ist, verbirgt sich im Namen des Zentrums Aman Shanti Center. Aman ist Urdu und bedeutet Friede, Shanti ist Hindu und bedeutet Frieden. In dem Zentrum treffen sich vornehmlich Frauen beider Religionen. Es liegt auf der Grenze zwischen dem muslimischen und dem hinduistischen Stadtviertel, südlich der Charminar. Vor 1992 war eben dieses Viertel ein gemischtes Viertel, nach den Auseinandersetzungen war eine gemeinsame Nachbarschaft nicht mehr möglich. Außer im Aman Shanti Center, das hier 1997 seine Türen aufgemacht hat.

Wie kann Versöhnung, wie kann ein friedliches Miteinander und gegenseitiges Verständnis vor so einem historischen Hintergrund gelingen? Die Arbeit des Zentrums setzt vielfältig an. Zum einen bietet es Kindern die Möglichkeit zum Schulbesuch. Ca. 60 Kinder kommen jeden Tag hierher, um zu lernen. Sie kommen aus Familien aus prekären Verhältnissen und sie kommen aus beiden Religionen. Miteinander lernen ist ein Baustein zur Versöhnungsarbeit. Verschiedene Projekte dienen dieser Arbeit. Frauen lernen und arbeiten zusammen. In der Nähwerkstatt lernen knapp 100 Frauen, Kleidung auszubessern und neue Kleider herzustellen und besuchen verschiedene Kurse und haben die Möglichkeit, im health center medizinisch versorgt zu werden. Wenn heute religiöse Feste wie das hinduistische Lichterfest oder das muslimische Fastenbrechen gemeinsam gefeiert werden, dann ist auch dies ein Baustein zur Versöhnungsarbeit. Versöhnungs-und Friedensarbeit gelingt hier ganz praktisch. Durch gemeinsame Kochkurse, die in die jeweils andere Tradition einführen und durch den Aufbau von Beziehungen, relationship building nennen sie es.

In der Töpferwerkstatt nebenan, dort, wo der hinduistische Tempel im Hof steht, entsteht Tongeschirr auf einer Töpferscheibe. Frauen in bunten Gewändern und einem roten Punkt auf der Stirn, dem Bindi, sitzen neben vollverschleierten Frauen und lernen gemeinsam nähen und Mehendi, die ornamentale Körperbemalung, die als Schmuck zu besonderen Anlässen getragen wird. Beides ermöglicht ihnen ein eigenes Einkommen und damit eine finanzielle Eigenständigkeit gegenüber Ehemännern und Familien. Die Frauen wissen, dass ihre Freundschaften über die religiösen Grenzen hinweg etwas Besonderes sind. Manche von ihnen verbinden jahrelange Freundschaften, die hier entstanden sind: Im Zentrum, in dem sie gemeinsam lernen, in Selbsthilfegruppen, in denen sie sich gemeinsam unterstützen, in Coaching Klassen, in denen sie sich auf die ihre finanzielle Eigenständigkeit vorbereiten.

Das Amand Shanti Center erfüllt viele Funktionen: Begegnung, Kommunikation, Auseinandersetzung, Lernen und Entwicklung. Dass die Arbeit interreligiös integrierend wirkt, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Zudem leistet sie einen wichtigen Beitrag dazu, der religiösen Vielfalt in Indien ein Gesicht zu geben, das nicht durch Gewalt verzerrt ist.

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