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Was feiern wir eigentlich an Pfingsten? Ich vermute, wenn Sie jetzt mal rechts und links mit ihren Nachbarn ins Reden kämen, würden Stichworte fallen wie: Ein schönes Fest nach Ostern. Irgendwas mit Ökumene. Vielleicht Geburtstag der Kirche – Geist, Feuer, Begeisterung…. Und wenn sie sich einfach ratlos anschauen würden- das machte gar nichts; Pfingsten ist das gewohnt….!

Pfingsten ist kein greifbares Fest. Bei Weihnachten oder Ostern muss man nicht bewandert sein oder christlich gebildet, um die Bedeutung von Weihnachten oder Ostern zu kennen. Zu beiden Festen würde den allermeisten Menschen doch einiges einfallen: Ein Kind in der Krippe, Ochs und Esel, viele Engel, Sterne usw.

Ostern sieht es ähnlich aus: Da gibt es Ostereier, das Fest hat was mit Leben und neuem Leben zu tun- und da es in das beginnende Frühjahr fällt, ist es mit Wachsen und Erwachen aus dem Dunkel der winterlichen Jahreszeit verschränkt. Ostern verbindet sich mit der christlichen Hoffnung auf die Auferstehung, der Macht des Lebens über den Tod. Für Weihnachten und Ostern gilt auch: Es gibt was zum Anfassen, was zum Hingucken. In den Wohnzimmern, auf den Straßen und in den Einkaufszentren. Die Bräuche und Rituale werden auch von Menschen gepflegt, denen die christliche Religion nicht oder nicht mehr selbstverständlich ist.

An Pfingsten sieht die Sache anders aus: Oder stellen Sie etwas Bestimmtes zu Pfingsten in die Vase? Abgesehen vielleicht von Pfingstrosen? Ich nicht. Ich wüsste nicht, womit ich meinen Esstisch pfingstlich schmücken sollte, es erwartetet niemand von mir ein Pfingstmahl, keinen gebratenen Pfingstochsen, noch nicht mal meine Kinder erhoffen sich ein Geschenk…Pfingsten ist, was das Sichtbare und Greifbare angeht, nicht besonders gut ausgestattet.

Doch: Es gibt ein Sprachbild, von dem ich sicher bin, dass Sie es kennen: Es ist der Ausdruck für etwas Feuer und Flamme sein. Bekannt, oder? Dieser Ausdruck kommt aus der Pfingstgeschichte- und führt uns direkt auf die Spur, worum es bei Pfingsten geht. Die Apostelgeschichte erzählt davon.

Die Jüngerinnen und Jünger von Jesus feiern – wie Jesus selbst ja auch, die jüdischen Feste. 50 Tage nach dem Passahfest, das später das christliche Osterfest wird, feiern die Juden das Fest Schavout – dies ist ein Erntefest zum Abschluss wahrscheinlich der Weizenernte. Zu Schavout geht, wer kann, nach Jerusalem. Die Jünger gehen nach Jerusalem. Natürlich feiern die Jünger dort nicht den Geburtstag der Kirche, die gibt es ja noch gar nicht, sondern eben Schavout…Aber, was dort passiert, legt sozusagen den Grundstein für das, was sich nachher die christliche Gemeinde nennt. Während die Jünger nämlich das Fest feiern, „geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen und man sah etwas wie Feuer und sie wurden erfüllt von dem Heiligen Geist“ (Apg 2, 1ff.)

Die Jünger machen also eine Erfahrung. Sie sind erfüllt vom heiligen Geist, sie sind Feuer und Flamme; sie können auf einmal mit Menschen reden, deren Sprache sie eigentlich nicht sprechen, geschweige denn verstehen können.

Damit erzählt die Apostelgeschichte die Geschichte eines Übergangs: Ging es vor Pfingsten vor allem um die Wirksamkeit von Jesus-so geht es nach Pfingsten um die Wirksamkeit der Gemeinde. Im Grunde erzählt die Pfingstgeschichte wieso wir hier heute auf dem Schiffenberg immer noch Pfingsten feiern: Weil Gott nicht aufgehört hat, in Menschen zu wirken. Weil Jesus nicht der letzte Mensch war, in dem Gott gewirkt hat, sondern weil sein Geist alle erfüllen kann: Kinder, Erwachsene, Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten, kultureller Herkunft, verschiedener Hautfarben.

Der Geist Gottes wird in der Bibel mit unterschiedlichen Bildern versucht zu fassen: Ruach, so heißt es auf hebräisch: Das ist der Wind, Geist, der Lebensatem, der Atem überhaupt, es ist die Geistkraft- die begeistern kann. Gottes Geist setzt in Bewegung, und geht auch über gesetzte Grenzen hinweg.

Wo der Geist Gottes ist, da ist Freiheit (2. Kor 3,17), so schreibt es Paulus. Für Paulus liegt die Freiheit darin, nicht zum Gefangenen des eigenen Selbstbildes zu werden. Paulus beobachtet um sich herum Menschen, die permanent dabei sind, sich selbst und den anderen zu zeigen, wie toll sie sind und wie tüchtig und wie erfolgreich. Und er beobachtet sehr genau, wie diese Menschen sich im Grunde ständig selbst rechtfertigen: Mit anderen Worten: Wie sie ständig um sich selbst herum kreisen und sich selbst zum Mittelpunkt ihrer eigenen Welt machen.

Paulus Erfahrung mit Gott ist eine andere. Er spürt: Wenn ich mich auf Gott einlasse, dann höre ich endlich eine andere Stimme, nicht nur meine eigene. Dann erweitert sich mein Horizont, mein Glauben, und ich merke auf einmal, wie vielfältig und lebendig das Leben sein kann. Dieses von Gott geschenkte Leben hat also etwas mit Weite zu tun, mit den von Gott geschenkten Möglichkeiten. Seine Erfahrung mit Gott ist eine Befreiungsgeschichte.

Wo Menschen aus den Bildern heraustreten können, die sie sich von sich selbst machen, geschieht Befreiung. Das Gegenteil davon ist die Reduktion auf ein Bild. Diese Reduktion ist schon in der Sprache zu hören: Der ist immer so…. Sie hat sich nie geändert …. „Immer und nie“ diese Sprache kontrolliert das Bild, das wir voneinander haben und auch oft das eigene. Es ist schwarz weiß. In diese Bilder gelingt es kaum, Bewegung hineinzubringen.

Beschränkung geschieht auch dort, wo Menschen nur in ihrer eigenen Welt leben und sich selbst als Maßstab nehmen. Dann werden Unterschiede bedrohlich. Dann wird Pluralität zum Problem. Dann entstehen totalitäre Formen von Gemeinschaft, dann geht Freiheit verloren, und damit auch die Möglichkeit zur Veränderung.

Die von Gott geschenkte Freiheitserfahrung macht es Menschen überhaupt möglich, auf andere zuzugehen, und in ihnen nicht das Spiegelbild von sich selbst zu suchen, sondern den Anderen. Den anderen Menschen, der von mir unterschieden ist. Zur Freiheit seid ihr berufen, so schreibt er der Gemeinde in Galatien, gebt acht, dass die Freiheit nicht zu einem Vorwand für die Selbstsucht wird, sondern dient einander in Liebe (Gal 5, 13).

Paulus ist dabei nicht naiv. Er weiß: Menschen sind unterschiedlich. Und wenn man will, dass sie nicht nur nebeneinander leben, sondern miteinander, dann gibt es Konflikte. Diese Erfahrung macht Paulus immer wieder in den Gemeinden, die er gründet. Da gibt es Reiche, da gibt es Arme, da gibt es Judenchristen und Heidenchristen, da gibt es Männer und Frauen. Doch, bei aller Unterschiedlichkeit warnt er davor, dass Uniformität, die Gleichheit bis zur Unkenntlichkeit, die Grundlage des Zusammenseins ist. Nein, sagt er, die Grundlage des Zusammenseins ist die Verschiedenheit der Menschen – So hat Gott es gewollt, von Anfang an. Menschen sind Ebenbilder Gottes. und das ist gut so! Gott schenkt uns diese Freiheit in Verschiedenheit als seine Ebenbilder.

Wenn wir in diesen Tagen den 75. Jahrestag des Grundgesetzes feiern, dann ist das Grundgesetz das säkulare Bekenntnis dieser Einsicht: Freiheit setzt Verschiedenheit voraus und ermöglicht sie.Das Grundgesetzt fasst dies in den klaren Satz: Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Die Würde wird nicht eingeschränkt, weil jemand nicht in Deutschland geboren ist, oder im Rollstuhl sitzt, die Würde ist nicht eingeschränkt, weil jemand dement ist oder unter der Brücke lebt. Die Menschenwürde kommt jedem Menschen zu.

Diese Erkenntnis hat die junge Bundesrepublik mühsam lernen müssen, als sie schuldhaft verstrickt anerkennen musste, dass der Totalitäre Staat Menschen umgebracht hat, Verschiedenheit verboten und bedroht hat und eine Gleichschaltung aller staatlichen und nicht staatlichen Institutionen vorangetrieben hat. Diese Erkenntnis musste auch die Kirche im Nachkriegsdeutschland mühsam erst einsehen, dass sie in weiten Teilen den totalitären Staat mit ihrer Haltung gestützt und gefördert hat- und ihm nichts entgegengesetzt hat. Die Kirche hatte ihre Botschaft vergessen.

Wenn wir heute die Botschaft der Bibel hören und ernst nehmen, dann heißt das auch, die Freiheit wertzuschätzen und uns dafür einzusetzen. Wir tun dies als Kirche aus anderen Beweggründen als demokratische Parteien und zivilgesellschaftliche Gruppen. Aber es ist genau der Punkt, in dem Christsein auch politisch-sein bedeutet, weil es der Kirche nicht egal sein kann, ob Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe oder Religion verunglimpft und angegriffen werden, weil es nicht ausschließlich Sache der Politik ist, wenn Menschen in ihrem Engagement für Demokratie und Freiheit eingeschüchtert werden. Ein sichtbares Zeichen, diese Freiheit ernst zu nehmen, ist zur Wahl zu gehen.

Als die Jünger zu Schavout nach Jerusalem kamen, gab es die Kirche noch nicht. Deshalb ist das mit dem Geburtstag feiern an Pfingsten vielleicht kein so passendes Bild.

Die Kirche konnte entstehen, weil Menschen sich auf die Vision von Jesus eingelassen haben, dass eine Welt möglich und gottgewollt ist, in der Menschen in Unterschiedenheit miteinander leben können. In der nicht das Recht des Stärkeren zählt, in der Kranke nicht ausgegrenzt, sondern mitten ins Leben hineingeholt werden.

Die Kirche konnte entstehen, weil Menschen als befreiend erlebt haben, dass da einer den Sanftmütigen Stärke zuspricht und denen, die nach Gerechtigkeit dürsten Gottesnähe verheißt.

Die Kirche konnte entstehen, weil Menschen darauf vertrauten, dass die Gottes Kinder heißen, die den Frieden suchen. Jesus nannte diese Vision Reich Gottes.

Vom Geist Gottes erfüllt zu werden, sich für diese Vision in Bewegung setzen zu lassen, dafür steht Pfingsten. Die Kirche ist nicht um ihrer selbst willen da. An Pfingsten geht es nicht um den Selbsterhalt der Kirche. Pfingsten ist nicht das Fest, in dem wir sorgenvoll um uns selbst kreisen. Es sind nicht die Geburtstagskerzen auf dem Kuchen der Kirche, die wir feiern, sondern dass sich Menschen für das Reich Gottes begeistern lassen. Und deshalb Teil dieser Gemeinschaft sein wollen.

Feuer und Flamme für diese Vision sein? An Pfingsten geht es um diese Vision, das Reich Gottes. Das Leben, das Gott für die Menschen will. Die Freiheit in aller Unterschiedlichkeit nicht als ein Klotz am Bein zu verstehen, sondern als Grundlage für eine lebendige, vielfältige, bunte Kirche. Etwas mehr Pfingsten, mehr Geist, in der Kirche- das würde uns gut tun. Es hieße, aus der Vision des Reiches Gottes zu leben.

Konkret heißt das, von denen her zu denken und zu handeln, die Jesus in seinen Seligpreisungen nennt. Es heißt Grenzen im Denken und Handeln zu erkennen, zu hinterfragen und sie auch mal hinter sich zu lassen.

Pfingsten ist kein greifbares, kein sichtbares Fest. Es lebt von der Vision eines Gottesreiches, auf das wir zugehen und das gleichzeitig mitten unter uns ist. Wenn hier und heute Menschen aus unterschiedlichen Glaubensrichtungen miteinander Gottesdienst feiern, dann bitten wir darum, dass der Geist Gottes mitten unser uns ist. – Und bleibt.

Wenn sie sich also jetzt nach rechts und links zu ihrem Nachbar drehen, dann müssen sie gar nicht wissen, was Pfingsten ist, sondern dann sehen Sie es: Einen anderen Menschen. Gottes Ebenbild. Nicht ein Ich in unendlicher Wiederholung, sondern ein Du.

Predigt gehalten auf dem Schiffenberg in Gießen, Pfingstmontag, 20. Mai 2024

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