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Die Abendmahlsgeschichte ist doch eigentlich eine Geschichte von mindful eating“, sagt eine junge Frau zu mir. So habe ich es noch nicht gesehen, aber ihre Erklärung finde ich einleuchtend: Es geht doch um das achtsame Teilen. Niemand soll das Essen runterschlingen, das Essen folgt einem Ritual, in dessen Zentrum ein bewusst genommenerSchluck Saft oder Wein und das Essen von einem Stück Brot steht. Beides steht für eine Verbindung, die das eigene Ich übersteigt, die innere Anbindung an Leben und Tod von Jesus. Während mein protestantisches Gehirn noch daran kaut, ob das ein Zugang zur Abendmahlsgeschichte sein kann, leitet mich dieser Satz zu der Frage: Was genau Achtsamkeit im christlichen Zusammenhang eigentlich ist?

Dass der Mensch die Fähigkeit hat, von sich selbst zurück zu treten, seine Entscheidungen nicht ausschließlich seinen Impulsen zu überlassen und in der Lage ist, Verantwortung für sein eigenes Tun zu übernehmen, gehört zum christlichen Menschenbild. Anders wären Menschen nicht in der Lage zwischen Wollen und Vollbringen („Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht“, Römer 7,18) zu unterscheiden, Fehler und Schuld zu erkennen (wie Petrus, der bitterlich weint, als er mit dem dreimaligen Krähen des Hahnes seinen Verrat erkennt, Lukas 22,62), und dasAbweisen von Verantwortung („Soll ich meines Hüter sein?“ 1. Mose 4,9).

In den Gleichnissen Jesu wird die Achtsamkeit als Lebensführung als Zurücktreten von eingespielten Zuschreibungen, als Anstoß zum Perspektivwechsel und zur Selbstreflexion eingeführt. Beispielhaft wird dies in den Streitgesprächen mit den Pharisäern und Schriftgelehrten, aber auch mit den eigenen Jüngern erzählt. Die Frage: „Was siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem eigenen Auge siehst du nicht?“ (Matthäus 7,3) bezieht sich auf die eingeschränkte Wahrnehmung, die mit automatisierten Zuschreibungen oft einher geht.

Eine Geschichte, die die Bedeutung der Achtsamkeit und der Resilienz zugleich erzählt, ist die bekannte Geschichte der Speisung der 5000 (Lukas 9,10ff.). Viele Menschen sind gekommen, um Jesus zu hören. Als es Abend wird, schicken sich die Jünger an, die Menschen wegzuschicken. Fünf Brote und zwei Fische, das sei nicht genug Essen für alle. Da lässt Jesus die Menschen sich in Gruppen niedersetzen, teilt Brot und Fisch und am Ende bleiben zwölf Körbe übrig. Diese Geschichte erzählt, wie die Angst davor, nicht alle Menschen satt zu bekommen, die Jünger lähmt, überhaupt etwas zu tun. Ihr einziger Ausweg ist: Raus aus der Situation. Weder gelingt es ihnen, eine Alternative aufzubauen, noch können sie es aushalten, dass nicht alle satt werden. Sie lassen sich von ihrer Angst leiten. Jesus unterbricht den Kreislauf der Angst, er nimmt das, „was gerade da ist“ (eine der kürzesten Bestimmungen von Achtsamkeit überhaupt), unter seinen Händen verwandelt sich der unterstellte Mangel in Fülle. Ein Perspektivwechsel, der aus lähmender Angst eine Handlungsoption entwickelt.

Es sind die Unterbrechungen, die Infragestellung von stillen Vorannahmen und das Schauen, nach dem „was gerade ist“, was zur Förderung von Resilienz beiträgt. Anhand der biblischen Geschichten wird diese Lebenshaltung variantenreich immer wieder neu erzählt. Damit wird illustriert, wie Menschen auch in schwierigen Situationen Handlungskompetenz und Selbstbestimmung (zurück) erlangt haben. Durch die Ausbildung von Resilienz erschließen sich andere Wege, mitunter ganz neue Wege, aus alternativlosen Einbahnstraßen werden perspektivenreiche Knotenpunkte.

Eine formale Achtsamkeitspraxis wie z.B. Meditation oder Gebet, die sich im einübt im wachsamen Beobachten der Emotionen, Stimmungen und Urteile, kann ein wichtiger Baustein zum Aufbau von Resilienz sein. Denn auf Achtsamkeit lässt sich nicht einfach zurückgreifen. Sie braucht Übung und gute Rahmenbedingungen. Sie muss aber auch alltagsfähig sein und bleiben, sonst verliert sie ihre verändernde Kraft. Für beides, die formale Achtsamkeitspraxis, die bestimmten Regeln folgt und die informelle Achtsamkeitspraxis, die den Alltag als Übungsfeld nutzt und dabei Mikro-Momente an Stille und an Gegenwärtigkeit wahrnimmt, gilt das, was Fulbert Steffenskyeinmal geschrieben hat: „Man kann das notwendige Gebet nicht erst dann erfinden, wenn man es braucht, wie der Moment des Ertrinkens ungeeignet dazu ist, schwimmen zu lernen“.

Der Artikel ist im Heft 2/2024 RPI Impulse erschienen

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